Das vorzeitige Aus bei der Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland ist inzwischen traurige Tatsache. Dennoch war es für mich ein Erlebnis beim besten deutschen WM-Spiel, zweifellos war dies die Partie gegen Schweden, dabei gewesen zu sein. Die Anreise erfolgte von München via Moskau-Vnukowo (IATA-Code VKO), mit circa sechs Stunden Aufenthalt und einem Kurztrip in die City und anschließendem Nachtflug zum Flughafen Sotschi-Adler (AER). Dort schlaflos, aber zufrieden angekommen, ging es weiter mit dem Aeorexpress ins Stadtzentrum und von dort nach einem gemütlichen Frühstück am Hafen mit dem Taxi ins Hotel.
Mit der Fan-ID und einer Eintrittskarte zum WM-Spiel waren die öffentlichen Verkehrsmittel am Spieltag kostenfrei. Für den Aeroexpress war zwar ein Zugticket erforderlich, das aber kostenlos ausgehändigt wurde, sofern Fan-ID und Eintrittskarte vorgezeigt wurden. Nach einer Mütze Schlaf geht es mit dem Bus Nr. 30 wieder zum Bahnhof – hier hat niemand nach der Fahrkarte gefragt – von dort mit dem inzwischen volleren Aeroexpress zum Fischt-Stadion. Ein Schwede stellt fest, dass ich – der Schlaf war offensichtlich zu kurz – sehr müde aussehe. „Nachtflug von Moskau“, sage ich. Ob das deutsche Team im gleichen Flieger war, scherzt er – guter Joke! In dem müden Auftakt-Kick der deutschen Mannschaft gegen Mexiko im Moskauer Luschniki-Stadion sah es tatsächlich so aus, als hätten Jogis Jungs die Anreise ohne Schlaf per Nachtflug vollzogen. Ausstieg ist an der Haltestelle Olympic Stadium, wo sich diverse Sportstätten der Winterspiele 2014, die Formel 1-Strecke und eben das Fischt-Stadion befinden.
Das Olympiagelände verfügt über eine eigene Bahnstation (siehe Titelbild)
Die schwedischen Fans sind vor dem Stadion optisch und akustisch sehr präsent. Die gelben Trikots leuchten von überall und bei den Gesängen fließt das Bier in Strömen. Allmählich legt sich meine Müdigkeit. Spannung liegt in der Luft, schließlich geht es um die Wurst. Wenn Deutschland verliert, ist die WM für Jogi & Co. zu Ende. Sobald die Stadiontore öffnen, bin ich – nach einer ausgiebigen Sicherheitskontrolle drin – und genieße den Blick auf das nahezu leere Stadion.
Der DFB-Fan-Club hat in diesem Block (A309, Westseite des Stadions) schwarz-rot-goldene Fahnen auslegen lassen, tatsächlich sind hier zu neunzig Prozent deutsche Fans, links neben mir aber zwei Peruaner, rechts ein Russe und ein Schwede. Das kann lustig werden! Langsam kommen die Teams zum Warmlaufen aufs Feld, dazwischen Smalltalk mit den Peruanern und dem Schweden, der Russe sagt nicht viel. Dann die Nationalhymnen, die schwedische klingt wie ein Trauermarsch, wenn die in dem Tempo spielen, soll es mir Recht sein.
Dann geht’s los! In den ersten Minuten gibt es ein munteres Anrennen der Deutschen, aber schon bald läutet Rüdiger die Fehlpassorgie ein. Boateng sprintet Berg hinterher und berührt ihn am linken Bein, Berg stolpert, Neuer wirft sich dazwischen und schnappt sich das Leder, aber es hätte auf Grund der Berührung von Boateng Foulelfmeter geben können. „Hätte, hätte, Viererkette!“. Der Schiri hat nicht gepfiffen, Glück gehabt. Als nächster reiht sich Kroos in die Gilde der Fehlpassspezialisten ein. Rudy fällt bei dieser Szene hin, wird anschließend von der medizinischen Abteilung behandelt, zieht sein Trikot aus und wirft es hin. Hat er eine Zerrung? Ihm ist wohl klar, dass er raus muss. Das deutsche Team spielt minutenlang mit zehn Mann weiter. Wieso wechselt Löw nicht, wenn klar ist, dass Rudy nicht mehr kann? Später erfahre ich, dass er einen Schuh eines Schweden ins Gesicht bekommen hatte und sich dabei die Nase gebrochen hatte. Das hatte ich aus der Entfernung nicht gesehen. Gündogan kommt für ihn.
Es folgt nochmal ein Fehlpass von Kroos, Konter der Schweden, die diesen per Heber zum 1:0 abschließen. Neuer, einer der wenigen in Normalform, ist einen halben Meter zu kurz und greift ins Leere. Die deutschen Fans fallen in Schockstarre. Totenstille auf den Rängen! Der Russe und einer der Peruaner gehen zum Bierholen. War es das? Ist Deutschland raus? Das Spiel der Deutschen wird infolge des Gegentreffers nicht ansehnlicher. Ich sehe, jetzt schon die Schlagzeilen der bunten Blätter, die Jogi Löws Rücktritt fordern.
Nach der Halbzeit wird es besser. Gomez und später Brandt bringen neuen Schwung rein, vor allem aber Werner, der jetzt meist über die linke Seite kommt, wirbelt. Es gibt Chancen, die für zwei oder drei Spiele reichen sollten. Wieder kommt Werner über links, flankt rein, Reus bugsiert den Ball mit dem Knie über die Linie, 1:1! Durchatmen! Die totale Blamage scheint erstmal abgewendet, weitere Chance Kopfball Gomez, Olsen, der schwedische Torwart, hält.
Dann der vorläufige Showdown:
Die Minuten rinnen davon. Boateng erhält Gelb-Rot und Deutschland spielt schon wieder in Unterzahl. Fünf Minuten Nachspielzeit werden angezeigt. Werner versucht es nochmal über links, wird an der Strafraumgrenze gefoult. Freistoß direkt unter mir, ich hätte optimale Sicht, wenn nur das Fahnenmeer nicht wäre. Jetzt muss es klappen! Kroos und Reus stehen da, besprechen was zu tun ist. Kroos legt den Ball etwas vor, Reus stoppt ihn, Kroos schlägt den Ball mit rechts in den Strafraum, der wird länger und länger. Diesmal ist Olsen zu klein, das Leder fliegt über den Torwart hinweg und senkt sich hinter ihm ins obere, aus Sicht des Schützen rechte Tordreieck. 2:1, grenzenloser Jubel. „Toni, Du bist ein Fußballgott!“ – die Worte erhalten eine neue Bedeutung. Kurz danach ist Schluss!
Ich trinke vor dem Stadion noch ein Bier zum Runterkommen. Mit dem Aeroexpress fahre ich zurück ins Zentrum von Sotschi, der Bus zum Hotel fährt nicht mehr, es ist weit nach Mitternacht. Ich suche ein Taxi, zufällig kommt ein Argentinier hinzu, der im gleichen Hotel übernachtet. Wir teilen uns den Taxipreis und fachsimpeln, so dass die Fahrt sehr kurzweilig verläuft. Um kurz vor drei Uhr falle ich ins Bett.
Der Heimflug erfolgte dann wieder per Nachtflug ab Sotschi, diesmal über Moskau-Domodedowo (DME), nach München.
Der Rest ist bekannt: Die Partie gegen Südkorea endete mit einer kraftlosen 0:2-Niederlage. Deutschland ist raus!