Nach fast drei Jahrzehnten des Stillstands wurde diese historische Verbindung in Nordafrika, die gemeinsam von der tunesischen SNCFT und der algerischen SNTF betrieben wird, am 11. August 2024 wiedereröffnet. Der Zugverkehr zwischen den beiden Ländern wurde 1995 aufgrund der Sicherheitslage in Algerien eingestellt, mit einer zweimonatigen Wiederbelebung im Jahr 2003. Weitere Versuche gab es 2017, die aber an technischen Mängeln scheiterten.
Die bei der Streckeneröffnung amtierende tunesische Interims-Verkehrsministerin Sara Zaafarani Zanzari, seit 21. März 2025 Premierministerin ihres Landes, erklärte, dass die Zahl der Fahrten künftig erhöht werde, wenn sich die Strecke als nützlich erweise. Die Strecke ist die einzige Möglichkeit, in Algerien mit einem Zug einzureisen und darüberhinaus eine der wenigen grenzüberschreitenden Zugverbindungen in Afrika. Gründe für den dürftigen Ausbau sind unterschiedliche Spurweiten, fehlende Infrastruktur-Koordination zwischen Ländern und der allgemein begrenzte Zustand vieler Eisenbahnnetze. Viele historische Kolonialbahnlinien wurden hauptsächlich für den Transport von Rohstoffen zu Häfen gebaut, nicht für grenzüberschreitenden Personenverkehr. Die Linie ist Teil eines größeren Projekts zur stückweisen Verbesserung der Eisenbahnanbindung im Maghreb (etwa im Rahmen des Projekts Trans‑Maghreb Railway) zwischen Nordwestafrika und Nordafrika.
Die hier beschriebene Reise fand im September 2025 statt.
Vorbereitung – Visaprozess
Die Reise beginnt nicht am Bahnhof der tunesischen Hauptstadt, sondern Wochen zuvor beim algerischen Konsulat in Frankfurt. Für die Einreise nach Algerien ist (Stand Oktober 2025) für deutsche Staatsbürger ein Visum erforderlich. Der Prozess in Frankfurt war überraschend einfach, die Mitarbeiter beantworten geduldig alle Fragen und helfen mit den für die Einreise benötigten Dokumenten.

Die offizielle Website des algerischen Konsulats listet nur den nördlichsten Straßengrenzübergang als Möglichkeit der Einreise auf dem Landweg auf. Auf Nachfrage heißt es dort, dass die Einreise mit dem neuen Zug jedoch problemlos möglich sei, auch wenn diese Option bisher noch so gut wie gar nicht von Touristen mit Visum genutzt wurde. Mit dem Visum im Pass erfolgte der Ticketkauf am Gare Central de Tunis.



Der Bahnhof ist technisch durchaus interessant: Von hier starten die Züge auf zwei verschiedenen Spurweiten – die Normalspur (1435 mm) Richtung Norden und Algerien sowie das Meterspurnetz (1000 mm), das sich in den Süden Tunesiens gräbt. Das Ticket für die Erste Klasse – siehe Titelbild – kostet 44 tunesische Dinar (circa 13 Euro).
Am Morgen der Abreise – der Zug verkehrt ab Tunis immer montags, mittwochs und freitags gegen 08:25 Uhr – werden die Passdaten am Schalter aufgenommen, und es gibt eine kleine Formularkarte für die Formalitäten der Ausreise aus Tunesien. Kaum dass der Bahnhof von Tunis verlassen ist, passiert der Zug das berühmte Nationalmuseum von Bardo – eines der bedeutendsten archäologischen Museen Nordafrikas. Das Bardo-Museum ist untergebracht im ehemaligen Palast des Bey von Tunis und beherbergt auf über dreißig Räumen und stockwerkhohen Marmorhallen eine der weltweit größten Sammlungen römischer Mosaiken, darunter lebendige Darstellungen aus dem antiken Alltag und Meisterwerke wie das berühmte Virgil-Mosaik. Seit der Eröffnung im Jahr 1888 zählt das Museum zu den kulturellen Herzstücken des Landes, das Zeugnisse von punischer, römischer, arabischer und osmanischer Geschichte vereint. Im Verlauf der Zugfahrt wird man weitere Orte sehen, an denen diese Einflüsse deutlich werden.

Auf historischen Gleisen durch die Medjerda-Ebene
Mit nur vier Minuten Verspätung setzte sich der Zug – gezogen von einer Diesellokomotive der Baureihe 060-DJ – in Bewegung. Die Wagen der Ersten Klasse sind komfortabel, verfügen über Steckdosen und Leselampen und sind stark klimatisiert. Der Zug war in Tunis zu etwa 80 Prozent gefüllt, augenscheinlich fast ausschließlich mit Algeriern auf dem Heimweg. Im Bordbistro gibt es Kaffee und Snacks (bezahlbar in beiden Währungen) und es ist der Ort im Zug, an dem geraucht werden darf.

Sobald die Vororte von Tunis verlassen sind, beginnt die Fahrt durch das tunesische Hinterland auf der Strecke Richtung Béja (باجة) und Jendouba (جندوبة).

Die Geschwindigkeit übersteigt selten 40 Stundenkilometer. Durch das Fenster können die Reisenden einige interessante Sehenswürdigkeiten betrachten:
Das Zaghouan-Aquädukt: Kurz nach Tunis gleitet der Zug an den monumentalen Bögen des römischen Aquädukts von Zaghouan (زغوان) vorbei. Dank der geringen Reisegeschwindigkeit kann man das Aquädukt etwa drei Minuten direkt an der Bahnstrecke sehen.


Die El-Khamsa-Brücke: Später überquert der Zug auf einer imposanten Bogenbrücke bei Béjà das Tal des Oued Béjà. Die Brücke besteht aus zwölf halbrunden Bögen, die Züge fahren 38 Meter über dem Tal. Sie gilt als eines der Wahrzeichen der Stadt Béjà. Zunächst merkt man nur, dass der Zug sich auf einer hohen Brücke bewegt, kurze Zeit später kann man die Brücke sehen.
Die Strecke selbst ist ebenfalls ein historisches Erbe. Sie wurde in der französischen Kolonialzeit erbaut, um die Netze beider Länder zu verbinden. Der Lückenschluss zwischen Ghardimaou (غار لدماء) auf tunesischer Seite und Souk Ahras (سوق أهراس) in Algerien erfolgte bereits 1884. Man reist auf derselben Strecke wie vor 140 Jahren. Die Strecke ist eingleisig; das ständige Hupen und Verzögern an unbeschrankten Bahnübergängen und das gelegentliche Warten auf freier Strecke bestimmen die Reisegeschwindigkeit.

Zwei Bahnhöfe und ein Grenzübertritt
Der spannendste Teil jeder internationalen Zugfahrt ist die Grenze. In Ghardimaou, der tunesischen Grenzstadt, müssen alle Passagiere aussteigen und es gibt einen Lokwechsel. Die Zoll- und Passkontrolle erfolgte in einem kleinen Gebäude direkt am Bahnsteig. Nach den Grenzformalitäten auf tunesischer Seite erkannte man aus dem Fenster einzelne rostige Überreste der „Ligne Morice“. Diese massive, ehemals verminte und elektrifizierte Sperranlage wurde von Frankreich im Algerienkrieg (1954 bis 1962) errichtet, um den Nachschub der algerischen Befreiungsfront aus Tunesien zu unterbinden. Sonst war die Landschaft zunehmend bergig, vereinzelt liegen Dörfer direkt an der Bahnstrecke, viele Flächen werden landwirtschaftlich genutzt. Sie hatte einst eine Länge von rund 460 Kilomtern und reichte einst vom Mittelmeer bis in die Sahara. Sie war benannt nach dem damaligen französischen Verteidigungsminister André Morice. An der Grenze zwischen Algerien und Tunesien nähert sich der Zug dem Fluss Oued Medjerda, dem längsten und wichtigsten Fluss Tunesiens. Der Medjerda entspringt im nordöstlichen Atlasgebirge Algeriens, in der Nähe von Souk Ahras, und durchquert auf seinem etwa 450 Kilometer langen Weg das tunesische Tiefland, bevor er nördlich von Tunis ins Mittelmeer mündet. Der Fluss ist lebenswichtig für die Landwirtschaft und Wasserversorgung Tunesiens, seine fruchtbaren Ebenen gelten als Kornkammer des Landes. Kurz vor dem Grenzübertritt überquert der Zug den Oued Medjerda, der parallel zur Zugstrecke bis nach Souk Ahras durch das Fenster zu sehen bleibt.

Schon in Ghardimaou stiegen algerische Beamte zu und einer sammelten Reisepässe ein. Die eigentliche Einreisekontrolle fand jedoch erst im nächsten Bahnhof circa 47 Kilometer Luftlinie weiter auf algerischer Seite statt: Souk Ahras. Während die tunesischen Bahnhöfe nostalgisch und in die Jahre gekommen wirkten, ist der Bahnhof in Souk Ahras (der antike Geburtsort des Kirchenvaters Augustinus) ein überraschend moderner, heller Neubau. Da die einzigen Passagiere mit Visa im Pass schnell identifiziert sind, erfolgt deren Kontrolle zuerst. Für die meisten Mitreisenden, die nur mit Reisepässen reisten, war hier Endstation. Der Zug leerte sich auf etwa 20 Prozent der ursprünglichen Fahrgäste.

Dréan (الذرعان), Camus‘ Geburtsort
Ein paar Kilometer vor Annaba durchquert der Zug die weiten Ebenen, in denen der französische Schriftsteller und spätere Literaturnobelpreisträger Albert Camus geboren wurde. Sein Geburtsort Mondovi – das heutige Dréan – liegt südöstlich des Zielortes und war zur Kolonialzeit eine Siedlung von europäischen Einwanderern, berühmt für Weinanbau und Landwirtschaft. Camus kam hier 1913 zur Welt, bevor die Familie wenig später in die Hauptstadt Algier zog. Albert Camus gehörte zu den wenigen Intellektuellen, die sich sowohl kritisch mit dem französischen Kolonialismus als auch mit der Gewalt des Unabhängigkeitskrieges auseinandersetzten. Er lehnte eine radikale Unabhängigkeit ab und plädierte stattdessen für Reformen und einen „zivilen Waffenstillstand“, um Zivilisten auf beiden Seiten zu schützen. Damit stand Camus zwischen den Fronten – und wurde deshalb teils von französischen, teils von algerischen Gruppen scharf kritisiert. Für viele Algerier bleibt Camus bis heute eine umstrittene Figur: Ihm wird vorgeworfen, das Leid der algerischen Bevölkerung während der Kolonialzeit und des Unabhängigkeitskriegs nicht ausreichend anerkannt zu haben. In vielen Buchhandlungen Algeriens findet man seine Bücher heute immer noch. Auf der Zugfahrt nach Annaba durchquert man immer noch das Land, dessen Landschaft Camus später in seinem literarischen Werk vielfach beschrieb.
Ankunft in der Mittelmeerstadt Annaba (عنابة)
Nur noch eine Handvoll Gäste trat die letzte Etappe zur Küste an. Die offizielle Fahrzeit betrug zwar sieben bis acht Stunden, doch Verspätungen durch die Grenzformalitäten sind die Regel. Mit etwa 80 Minuten Verspätung rollte der Zug schließlich in Annaba ein. Der beeindruckende Gare d’Annaba entschädigt für jede Minute Verspätung. Der Bahnhof in der Mittelmeerstadt Annaba ist ein perfekt erhaltenes architektonisches Meisterwerk. Erbaut in den 1930er Jahren, als die Stadt unter französischer Kolonisierung noch Bône hieß, verbindet der Bahnhof die Stadt Annaba mit der Hauptstadt Algiers und nun auch mit Tunesien (die Rückfahrten starten dienstags, donnerstags und sonntags gegen 09:00 Uhr). Er steht heute als Nationaldenkmal unter Schutz – ein würdigerer Endpunkt für diese Zugreise ist kaum vorstellbar.


Quellen:
- https://www.railwaygazette.com/passenger/tunisia-to-algeria-passenger-train-services-restart/67165.article
- https://www.cdha.fr/la-premiere-ligne-de-chemin-de-fer-en-algerie
- https://www.lok-report.de/news/uebersee/item/52027-algerien-tunesien-der-erste-zug-zwischen-tunis-und-annaba-ist-nach-30-jahren-wieder-gefahren.html
- https://the-passenger.de/2025/05/29/tunis-goulette-marsa-train-tunisia/
- https://mes-voyages.ameriquedusud.org/article-pont-cinquieme-un-pont-ferroviaire-de-beja-en-tunisie/
- https://taz.de/Jasminrevolution-in-Tunesien/!5128655/
- https://www.cdha.fr/la-premiere-ligne-de-chemin-de-fer-en-algerie
- https://www.oecd.org/content/dam/oecd/en/publications/reports/2025/09/regional-integration-in-the-union-for-the-mediterranean-2025_90fc8135/6422396e-en.pdf
- https://tunesienexplorer.de/2024/06/17/zugstrecke-tunis-annaba-verkuerzung-der-fahrzeit-notwendig/
- https://hrcak.srce.hr/file/470235
Weitere Informationen
- https://konsulat-algerien.de/visa-touristique/ – Algerisches Konsulat in Frankfurt, Touristenvisa
- https://www.sncft. com.tn/ – Société Nationale des Chemins de Fer Tunisiens (SNCFT) – Tunesische Eisenbahngesellschaft
- https://www.auswaertiges-amt.de/de/reiseundsicherheit/tunesiensicherheit-219024 – Auswärtiges Amt, Sicherheitshinweise für Tunesien
- https://www.auswaertiges-amt.de/de/reiseundsicherheit/algeriensicherheit-219044 – Auswärtiges Amt, Sicherheitshinweise für Algerien
- https://www.sntf.dz/ – Société Nationale des Transports Ferroviaires (SNTF) – Algerische Eisenbahngesellschaft
Bildnachweise:
Titelbild Gare Central de Tunis: Ghabara, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Hauptbahnhof Tunis Innenansicht: Ghabara, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Titelseite der „Alternative libertaire“: Alternative libertaire from France, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons
Bahnhof Ghardimaou: Camille56, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons
Bahnhof Souk Ahras: Von Comte Abel / Collection Bousdira – CDHA – Centre Documentation Historique sur l’Algérie, Gemeinfrei, Link
Bahnhof Jendouba Autor/-in unbekanntUnknown author, Public domain, via Wikimedia Commons
übrige Fotos: Robin Canali
Einen weiteren schönen Reisebericht der Strecke von Tunis nach Annaba aus dem Februar 2025 mit tollen Fotos gibt es hier: https://trains-today.blogspot.com/2025/03/sncft-tunisia-trip-report-25-28th.html
Hier beschreibt jemand die Fahrt in umgekehrter Richtung und präsentiert ebenfalls sehenswerte Bilder: https://www.drehscheibe-online.de/foren/read.php?030,11255831,11262669.