Die 2. Stammstrecke in München ist ein viel diskutiertes Infrastrukturprojekt in der bayerischen Landeshauptstadt. das auf die enormen Belastungen des S-Bahn-Systems reagiert. Mit täglich rund 840.000 Fahrgästen und über 20 Millionen zurückgelegten Kilometern pro Jahr ist die Münchner S-Bahn eines der größten S-Bahn-Systeme Deutschlands. Die 1972 zu den Olympischen Spielen eröffnete ursprüngliche Stammstrecke stößt an ihre Kapazitätsgrenzen, da alle S-Bahnen durch einen einzigen Tunnel die Innenstadt unterqueren müssen.
Kritiker monieren die lange Bauzeit und die Kosten, die deutlich über den ursprünglichen Planungen liegen. Ursprünglich waren rund 3,85 Milliarden Euro veranschlagt. Gründe für die Kostenexplosion sind unter anderem gestiegene Baupreise, Lieferengpässe, Probleme bei der Planung sowie technische Herausforderungen beim Tunnelbau in der Innenstadt. Tatsächlich bedingt die Komplexität, dass jedes Hindernis neue Kosten und Verzögerungen verursacht. Die Fertigstellung des Projekts verzögert sich weiter – statt 2028 wird nun mit einer Inbetriebnahme in den Jahren 2025 bis 2037 gerechnet. Zahlreiche Politiker und Interessenvertretungen verlangen, das Vorhaben kritisch zu prüfen und gegebenenfalls vollständig einzustellen.
Sie bevorzugen ein Ringsystem, das auch im Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern für die Legislaturperiode 2023 bis 2028 (Zitat: „Wir wollen … einen S-Bahn-Ring realisieren, …“) enthalten ist, aber bislang nicht weiter konkretisiert wurde. Technisch stellt das dicht bebaute München große Herausforderungen dar, da die Zügen entweder bereits ausgelastete Strecken des Güterverkehrs nutzen oder unterirdisch geführt werden müssten und dabei unter bestehender Infrastruktur, Gebäuden und durch teilweise schwierige geologische Verhältnisse verlaufen würden. Die Strecken im Nordteil verlaufen zudem größtenteils in Industriegebieten fernab von Haltestellen der U-Bahn.
Die 2. Stammstrecke soll dieses Nadelöhr beseitigen und erstreckt sich über rund elf Kilometer zwischen Laim im Westen und Leuchtenbergring im Osten. Das Herzstück bildet ein sieben Kilometer langer Tunnel, der den Hauptbahnhof mit dem Ostbahnhof verbindet. Der Tunnel beginnt kurz vor der Donnersbergerbrücke und führt unterirdisch bis zwischen Ostbahnhof und Leuchtenbergring, wo er wieder an die Oberfläche tritt. Die Bohrarbeiten starten von den beiden enden und sollen sich am Marienhof treffen.
Am Hauptbahnhof München entsteht eine der drei komplett neuen unterirdischen Stationen der 2. Stammstrecke, neben Marienhof und Ostbahnhof. Diese neue Station wird tiefer als die bestehenden S-Bahn-Gleise gebaut und erfordert komplexe Bauarbeiten im Tunnelvortrieb sowie umfangreiche Erdarbeiten. Die neue Infrastruktur soll nicht nur die bestehende Stammstrecke entlasten, sondern auch im Störfall als Ausweichmöglichkeit dienen und die Einführung eines neuen Express-S-Bahn-Systems ermöglichen. Zusätzlich werden die Umsteigestationen Laim und Leuchtenbergring unter laufendem Betrieb umgebaut, was die logistische Komplexität des gesamten Projekts erhöht.
Fotos von der Führung „Neue Station Hauptbahnhof“, 15. Mai 2025
Quellen:
- https://www.2.stammstrecke-muenchen.de/start.html
- https://www.csu.de/common/download/Koalitionsvertrag_2023_Freiheit_und_Stabilitaet.pdf, Seite 77
- https://www.vcd-muenchen.de/ringbahn-fuer-muenchen/
- https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/baukosten-von-zweiter-s-bahn-stammstrecke-in-muenchen-explodieren,Uhm10Zg
Vortrag zur Geologie im Informationszentrum Marienhof, 05.06.2025
Im Informationszentrum der Deutsche Bahn zum Bau der 2. Stammstrecke gibt es eine kleine Ausstellung mit Bohrkernen, die entlang der Trasse entnommen wurden, einem Modell einer Schildvortriebsmaschine für den Tunnelbau, zahlreiche Schaukästen mit Funden sowie Videos zur Geschichte des Münchner Untergrunds.
Beim Vortrag zur Geologie erläuterte ein Experte, die Herausforderungen des Tunnelbaus im Münchner Untergrund, die sowohl die Planung als auch die Umsetzung erschweren. Ein zentrales Problem stellt die große Tiefe mit der damit verbundenen Auflast und fehlenden Erfahrungswerten mit dem tertiären Untergrund dar. Hinzu kommt Münchner Schotter dar, eine während der Eiszeit abgelagerte, mehrere Meter dicke Schicht aus lockerem, wasserdurchlässigem Gesteinsmaterial. Diese Schicht ist inhomogen zusammengesetzt und enthält unterschiedlich große Brocken und neben dem typischen Schotter treten auch Tonschichten und Moränenmaterial auf, deren unterschiedliche geotechnische Eigenschaften bei der Tunnelplanung und dem Bau berücksichtigt werden müssen. Noch gravierender ist der Übergang zwischen eiszeitlichem Material und grundwasserstauenden Schichten des Tertiärs. Hier gibt es potenzielle Schwachstellen, an denen es zu Instabilitäten kommen kann.
Hinzu kommt der hohe Grundwasserspiegel im Stadtgebiet, der umfangreiche Maßnahmen zur Wasserhaltung erfordert. Das Absenken des Grundwassers ist nur in begrenztem Umfang erlaubt, um Schäden an der Bausubstanz umliegender Gebäude zu vermeiden und den ökologischen Wasserhaushalt nicht zu beeinträchtigen.
Ein weiterer bedeutender Aspekt ist die dichte Bebauung in der Innenstadt. Die neue Tunneltrasse verläuft in unmittelbarer Nähe zur bestehenden ersten Stammstrecke, was hohe Anforderungen an die Präzision der Bauarbeiten stellt. Erschütterungen durch den maschinellen Vortrieb in so großer Tiefe sind nahezu ausgeschlossen, Setzungen sind minimal und werden vor, während und nach der Maschinendurchfahrt permanent überwacht. Der öffentliche Nahverkehr wird dadurch nicht beeinträchtigt. Allerdings ist der Platz unter der Innenstadt äußerst begrenzt, was die logistische Planung erschwert.
Interessant sind auch die Erkenntnisse zum archäologischen Untergrund Münchens, die der Bau der Zweiten Stammstrecke mit sich gebracht hat. Im historischen Stadtkern ist bei Bauarbeiten immer wieder mit archäologischen Funden zu rechnen, die zu Baustopps oder Umplanungen führen können. Bevor der Bau der neuen unterirdischen S-Bahn-Station am Marienhof begann, wurden aber sämtliche archäologischen Arbeit abgeschlossen und sämtliche Funde sorgfältig geborgen und dokumentiert. Auf dem Areal in der Münchner Altstadt lassen sich Siedlungsspuren zurückverfolgen, die wesentlich vor der urkundlichen Erwähnung der Stadt im Jahr 1158 zurückreichen. Die ältesten Funde datieren aus der Bronzezeit und erzählen spannende Geschichten. Müllgruben, Latrinen und andere Hinterlassenschaften geben faszinierende Einblicke in den Alltag früherer Generationen. Man fand sogar einen Topf mit angebranntem Kompott aus dem 14. Jahrhundert – offenbar ein kulinarischer Fehltritt, der im Abort endete. Das Kapitel des Viertels hinter dem Rathaus erfuhr am 7. Januar 1945 eine abrupte Zäsur. Als Folge schwerer Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg wurden die letzten Gebäude an der Gruft- und Schrammerstraße zerstört.